FAQ – selektiver Mutismus
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Was ist mutiges Sprechen?
Der Begriff des mutigen Sprechens wurde vom amerikanischen Psychologen Dr. Steven Kurtz mit der massgeblich von ihm entwickelten Parent-Child-Interaction-Therapy for Selective Mutism (PCIT-SM) geprägt. Grundlage ist dabei das verhaltenstherapeutische Vorgehen der Parent Child Interaction Therapy, das in den 1970er Jahren von Sheila M. Eyberg an der University von Florida entwickelt wurde. Ursprünglich war PCIT zur Behandlung von Störungen des Sozialverhaltens bei 2-6-jährigen Kindern gedacht und verknüpft spiel-, und verhaltenstherapeutische Vorgehensweisen. Es wird darauf gebaut, die Eltern-Kind-Beziehung zu gestalten, so dass das Kind hochmotiviert ist, das Verhalten zu zeigen, welches schwierig für es ist. Für die Behandlung von Kindern mit selektivem Mutismus ergänzte Steven Kurtz die spieltherapeutischen Aspekte der PCIT mit spezifischen Kommunikationstechniken, die dem Kind helfen, zu sprechen (Cotter, Todd & Brestan- Knight, 2018).
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Welche Rolle spielen die Eltern beim mutigen Sprechen?
Beim Mutigen Sprechen werden spiel- und verhaltenstherapeutische Vorgehensweisen mit spezifischen Kommunikationstechniken verknüpft. Die Eltern werden von der ersten Stunde intensiv mit einbezogen und erlernen dieselben Techniken, die auch der Therapeut einsetzt. Zudem werden Pädagogen beraten und idealerweise auch geschult. Therapeut, Eltern und Pädagogen sind ein Team, das auf Augenhöhe zusammenarbeitet. Durch das intensive Coaching vom Therapeuten schlüpfen die Eltern nach und nach in die Rolle von Co-Therapeuten. Sie lernen, Alltagssituationen mit ihrem Kind immer besser und selbständig so zu meistern, dass das Kind sprechen kann. Außerdem können sie wichtigen Personen in ihrem Umfeld (Lehrpersonen und Pädagogen, Ärzte, Familienmitglieder, Freunde, Sporttrainer usw.) zeigen, wie diese dem Kind so begegnen können, dass das Sprechen leichter möglich wird. Es genügt nicht, ein Kind mit SM einmal pro Woche im Therapiezimmer abzugeben. Der Alltag ist die beste Spielwiese, um das mutige Sprechen zu üben, weil es täglich unzählige Chancen gibt, mutig zu sprechen: Beim Bäcker, im Restaurant, auf dem Weg zu Zoo, in der U-Bahn, auf Familienfeiern, beim Kinderarzt, im Supermarkt, in der Nachbarschaft…
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Welche Bausteine gibt es beim mutigen Sprechen?
Das mutige Sprechen besteht aus zwei Grundbausteinen: Dem spieltherapeutischen Baustein, der Child Directed Interaction (CDI), in der das Kind sich aufwärmt und jeglicher Sprechdruck eliminiert wird, folgt anschliessend der sprachorientierte Baustein der Verbal Directed Interaction (VDI), in der dem Kind aktiv Chancen zum Sprechen angeboten werden. Der Ansatz basiert auf der Grundannahme, dass zuerst eine vertrauensvolle Beziehung zum Kind aufgebaut werden muss, weil diese die Voraussetzung für das Sprechen ist. Sobald das Kind mit der therapierenden Person entspannt sprechen kann, wird das Mutige Sprechen in allen möglichen Alltagssituationen geübt, damit das Kind nach und nach Mutmuskeln aufbauen kann.
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Wie beginnt das mutige Sprechen?
Zu Beginn einer Begegnung gestaltet der Erwachsene die Situation so, dass das Kind sich in Ruhe aufwärmen kann und gar nicht erst in die Verlegenheit gerät, nicht sprechen zu können. Deshalb wird zunächst jeglicher Sprechdruck sorgsam vermieden: Es werden anfangs keinerlei Fragen gestellt. Denn wer nichts fragt, erwartet keine Antwort und nimmt so den Sprechdruck komplett aus der Situation heraus. Weil Begrüssungsfloskeln an hohen Sprechdruck gekoppelt sind, genügt eine freundliche Bemerkung wie „Schön, dass Du da bist“. Im Spiel gibt das Kind den Takt vor und der Erwachsene lässt sich darauf ein – es wird gespielt, was das Kind möchte, der Erwachsene macht begeistert mit. Statt über Fragen Kontakt aufzunehmen, wird das Verhalten des Kindes beschrieben und spezifisch gelobt: “Du stellst alle Autos nebeneinander. Du fährst mit dem roten Auto in die Parkgarage. Du lässt es die Rampe hinuntersausen. Ich mag, wie schnell Du das Auto runterfahren lässt!”
Weil jeglicher Sprechdruck von Anfang vermieden wird, entsteht eine Beziehung, in der das Kind sich als erfolgreicher Kommunikationspartner erlebt und nicht als ein Kind, das nicht sprechen kann. Das ist wichtig, weil Kinder mit selektivem Mutismus ihre Kommunikationspartner sehr schnell in Personen unterteilen, mit denen sie sprechen können und mit denen sie es nicht können – die Grenzen sind dabei sehr starr. Besteht mit einer Person erstmal eine Geschichte des Nichtsprechens, ist es schwerer für das Kind, das Schweigen zu überwinden – die Person ist als Nichtsprechperson kontaminiert.
Wie baut man aktiv Brücken ins Sprechen?
Nach der Aufwärmphase ohne Fragen, werden zunächst mit Hilfe von Auswahlfragen, später mit offenen Fragen und schliesslich mit direkten Sprechaufforderungen Chancen zum Sprechen kreiert. Diese Phase beginnt jedoch erst, wenn das Kind signalisiert, dass es entspannter ist. Das zeigt sich beispielsweise durch eine offenere Körpersprache, nonverbale Kommunikation, begeistertes Mitspielen oder Lachen. Gelingt es, in der Aufwärmphase begeistert miteinander zu spielen und keinen Sprechdruck aufzubauen, wagen es gerade Kinder im Kindergartenalter gar nicht selten sogar spontan, Geräusche, Laute oder vereinzelte Worte hören zu lassen. Auswahlfragen haben den Vorteil, dass die Antwort bereits in der Frage liegt. Das Kind spricht die Antwort im Grunde nach und ist deshalb weniger der Angst ausgesetzt, etwas Falsches zu sagen: „Lässt du als nächstes das rote oder das blaue Auto die Rampe runterfahren?“, „Soll mein Auto schnell oder langsam fahren?“, „Sollen wir weiter mit der Parkgarage spielen oder etwas anderes machen?“
Wenn Auswahlfragen gut klappen, können offene Fragen gewagt werden. Man wartet mit den offenen Fragen ab, weil hier das Kind frei formulieren muss, was schwerer ist: „Welches Auto gefällt dir am besten?“, „Was möchtest du jetzt spielen?“, „Was hast Du heute ein der Schule erlebt?“ Nach jeder Frage wird 5 Sekunden gewartet, um dem Kind genügend Zeit zu geben, den Mut zum Sprechen zu finden. Kann das Kind antworten, wird das Gesagte wiederholt und spezifisch gelobt:
„Möchtest Du eine Banane oder einen Apfel?“
„Eine Banane.“
„Banane, gut gesagt“.
Was bringt es, das Kind für das Sprechen zu loben?
Die gefährlichsten Drachen bewachen die wertvollsten Schätze. Spricht ein Kind mit selektivem Mutismus, hat es den Drachen für diesen Moment besiegt, und das ist eine enorme Leistung. Jede Äusserung des Kindes ist wie ein Goldtaler, der eingesammelt und gewürdigt werden will. Es braucht keinen Freudentanz, aber eine neutrale Anerkennung tut gut und macht dem Kind bewusst, dass es soeben das getan hat, was es bisher vermieden hat wie der Teufel das Weihwasser. Bisher hat es angenommen, dass ihm das Sprechen nicht möglich ist. Jetzt erlebt es, dass es entgegen seiner Erfahrung nicht nur sprechen konnte, sondern dafür sogar Lob und Anerkennung bekommt. Wenn wir für ein Verhalten gelobt werden, zeigen wir es häufiger. Langfristig hilft so das Wiederholen und Loben der Äusserungen, den Stress beim Sprechen besser auszuhalten und zu sprechen, obwohl es schwerfällt.